Kontrolliert der Mensch die Maschine oder die Maschine den Menschen? Diese alte Frage stellt sich unweigerlich, wenn es um Exoskelette – im Fachjargon Exoskeletons genannt – geht. Dies sind elektromechanische Hilfssysteme, die es querschnittsgelähmten Personen ermöglichen, wieder zu gehen.
Für Silvia Rohner, Projektleiterin des Teams Varileg Enhanced, ist die Antwort klar: «Wie gut ein Exoskeleton in der Praxis funktioniert, hängt in erster Linie vom Piloten ab.» Dieser muss sich an die robotische Hilfe gewöhnen und lernen, wie er sie am effizientesten einsetzt. «Es gibt Personen, die setzen vor allem auf Kraft, andere eher auf Technik. So oder so braucht es viel Training.» Welche Methode die bessere ist, wird sich im Mai 2020 zeigen, wenn Piloten aus der ganzen Welt mit unterschiedlichen Exoskelett-Systemen in einem Parcours gegeneinander antreten – am Cybathlon Wettkampf in der Schweiz (siehe Box rechts).
Auch das Team Varileg Enhanced nimmt am Cybathlon teil und hat sich das Ziel gesetzt, alle Hindernisse des Parcours zu bewältigen. Silvia Rohner sagt: «Unser Pilot soll einen erfolgreichen Wettkampf erleben.»
Beim ersten Cybathlon 2016 gab es bereits ein Team Varileg der ETH Zürich, das mit dem jetzigen Team allerdings wenig zu tun hat. Das aktuelle Exoskelett wurde von Grund auf neu entwickelt – als Studierendenprojekt, das im Sommer 2018 begann und im Sommer 2019 endete. Seither arbeitet ein gemischtes Team der ETH Zürich und der Technischen Hochschule Rapperswil daran, das Robotik-System fertigzustellen. Das Ziel: Ein fertiges Wettkampf-Exo für den Cybathlon.
«Es gibt noch viel Potenzial», so Silvia Rohner. Die Mechanik sei sehr gut. Die Software muss dagegen neu geschrieben werden. Und es braucht eine verbesserte Ansteuerung der Aktuatoren. All dies soll bis Ende Winter umgesetzt werden, damit die Trainings mit den Piloten wieder starten können. Einer von ihnen, Thomas Krieg, ist ein ehemaliger Bobfahrer und mit starkem sportlichem Ehrgeiz ausgestattet. Seit den ersten Gehversuchen mit dem Exoskeleton hat er grosse Fortschritte gemacht und sagt: «Ich komme mit der Maschine immer besser zurecht und ich bin überzeugt, dass wir am Cybathlon die Herausforderungen meistern können.»
Die grössten Herausforderungen wird für ihn wohl die schiefe Ebene bereithalten. Denn seinem Exoskelett fehlt der zusätzliche Freiheitsgrad im Hüftgelenk, womit das ganze Gewicht auf den Gehstöcken und seinen Armen lasten wird.
Die Techniker haben sich aus zwei Gründen für zwei Freiheitsgrade beim Varileg Enhanced entschieden: um Gewicht zu sparen und um das System möglichst einfach zu halten. Auf beiden Seiten befinden sich zwei bürstenlose Flachmotoren von maxon, die Hüfte und Knie bewegen. Um das Exoskelett an den Hüften möglichst schmal zu halten, wurden Motor und Getriebe parallel montiert, verbunden über einen Zahnriemen. Beim Kniegelenk wiederum ist das Getriebe direkt am Motor angebracht. Im Unterschied zum Vorgängermodell ist das Varileg Enhanced mit doppelt so starken Motoren ausgerüstet, die bis zu 600 W liefern.
So viel Power ist auch nötig, wie Silvia Rohner sagt. «Beim Treppengehen wirken riesige Kräfte, viel Reserve haben wir nicht.»
Es gibt viele Möglichkeiten, ein Exoskelett zu bauen. Wie erfolgreich das Team Varileg Enhanced mit ihrem Konzept ist, wird sich zeigen. Silvia Rohner freut sich jedenfalls auf den Cybathlon: «Es wird schön sein zu sehen, welche Lösungsansätze andere Teams wählen und welche Techniken weltweit existieren.» (msc)
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