Nicht weniger als 70 Unternehmen aus zehn Ländern haben 110 Maschinen und 28 Mehrwertdienste auf der EMO Hannover 2019 (16. bis 21. September) über die Standardschnittstelle umati (universal machine tool interface) miteinander vernetzt. Basis dafür ist der OPC UA-Standard. «Umati schlägt damit ein neues Kapitel in der Produktion auf», sagt Heinz-Jürgen Prokop, Vorsitzender des VDW (Verein Deutscher Werkzeugmaschinenhersteller), anlässlich der EMO Hannover. «Die Schnittstelle ermöglicht Werkzeugmaschinenherstellern, ein weiteres Versprechen von Industrie 4.0 einzulösen: den einfachen, schnellen und sicheren Datenaustausch.» Sein Verband hat umati initiiert und massgeblich vorangetrieben. Grund: Die Verbindung und die einheitliche Sprache von Maschinen, Anlagen und Software seien die wichtigste Voraussetzung, um in der Fertigung Nutzen aus der Digitalisierung zu ziehen. Dass sich die einzelne Firma nicht mehr um eine funktionierende Vernetzung kümmern müsse, sei ein ungeheurer Fortschritt, so der VDW-Vorsitzende.
Aber noch bleiben einige Fragen offen. Deshalb hat sich die «Technische Rundschau» bei Schweizer Protagonisten umgehört und wollte wissen, welche Stimmung beim Thema umati herrscht.
Levin Burkhart, Product Manager IIoT bei Agathon
Die Umati-Schnittstelle wurde auf der letzten EMO in Hannover heiss diskutiert. Wie positioniert sich Agathon in dieser Frage?
Zunächst möchte ich im Namen von Agathon dem umati-Team zu einem erfolgreichen Auftritt an der EMO gratulieren. In unserer Rolle als Corporate Partner unterstützen wir den VDW aktiv, mit umati die vorgesehene universelle Schnittstelle für Werkzeugmaschinen zu schaffen. Insofern war es für uns folgerichtig, am umati-Showcase an der EMO teilzunehmen und drei unserer Maschinen an den Datahub anzubinden. Voraussichtlich werden führende Maschinenbauer wie Agathon jedoch weiterhin proprietäre Schnittstellen anbieten und weiterentwickeln. Schnittstellen, die auf Basis des OPC UA-Protokolls für die entsprechende Technologie herstellerspezifische und somit noch umfassendere und aussagekräftigere Daten von den Maschinen an übergeordnete Systeme übermitteln. An diesem Umstand wird wohl auch der innerhalb von umati vorgesehene Bereich für herstellerspezifische Konfigurationen nichts ändern. Proprietäre Schnittstellen und umati stehen aus unserer Sicht nicht in Konkurrenz zueinander, sondern ergänzen sich gegenseitig.
Wird Agathon in naher Zukunft eine umati-Schnittstelle anbieten?
Bevor wir eine umati-Schnittstelle für unsere Maschinen anbieten, müssen wir sicher sein, dass umati alle Voraussetzungen erfüllt, die für eine erfolgreiche Markteinführung erforderlich sind. Um dies beurteilen zu können, müssen wir abwarten, bis der erste offizielle Draft vorliegt. Dann werden wir sehen, wie dieser Draft aussieht und welcher Aufwand sich für die Implementierung ergibt. Grundsätzlich sind wir daran interessiert, mit umati den Markt mitzubestimmen und die Leichtigkeit für Digitalisierungsvorhaben zu gewährleisten.
Der VDW als Initiator spricht davon, dass umati als «standardisierte Sprache von Maschinen, Anlagen und Software die wichtigste Voraussetzung sei, um in der Fertigung Nutzen aus der Digitalisierung zu ziehen». Teilen Sie diese Auffassung?
Umati ist aus unserer Sicht auf einem guten Weg, eine wichtige Funktion in der Umsetzung von Industrie 4.0 zu übernehmen. Unternehmen werden jedoch darüber hinaus ihren Schleifmaschinenpark oder andere spezifische Bereiche ihrer Produktion gezielt auswerten und optimieren wollen, zum Beispiel im Hinblick auf Predictive Maintenance. Hierfür liefern proprietäre Lösungen wie unsere OPC UA-Schnittstelle eine noch umfassendere Datenbasis. Aus unserer Sicht wird umati vor allem für die Betreiber von Werkzeugmaschinen, respektive deren Softwareanbieter, die Anbindung und einiges im grundlegenden Datenverständnis vereinfachen.
Wo sehen Sie generell Herausforderungen auf dem Weg hin zu einer standardisierten Maschinensprache?
Für die Maschinenhersteller liegen die Herausforderungen in der Bereitstellung der Daten in der gewünschten Struktur. Um von einer Standardschnittstelle sprechen zu können, muss umati ausserdem ein gewisses Mass an Verbreitung aufweisen können. Der VDW hat es allerdings geschafft, gewichtige Partner zu gewinnen, die umati den Rücken stärken. Der globale Rollout muss in diesem Zusammenhang ebenfalls erwähnt werden. Hier könnten aus meiner Sicht möglicherweise Konflikte mit anderen Standardisierungsinitiativen entstehen. Damit umati ein dauerhaftes Produkt wird, müssen nach der Einführung wichtige Themen wie zum Beispiel Lizenzierung, Produktpflege und Erweiterungen zufriedenstellend gelöst werden. Dafür dürfte ein erheblicher Effort notwendig werden.
Primin Zehnder, Vizepräsident und Vorstand Fachgruppe Metall, tecnoswiss
Wie relevant ist die Umsetzung von umati für die Schweizer Distributoren von Werkzeugmaschinen?
Daten von Maschinenzuständen werden ja schon länger erfasst, dargestellt und ausgewertet. Dies sind aber sehr oft spezifische Kundenlösungen. Der Prozess zur Standardisierung ist sehr zu begrüssen und ein wichtiger Beitrag zu Industrie 4.0. Es ist anzunehmen dass hier noch weitere Partner sich anschliessen werden. Die Schweizer Kunden und somit auch die Distributoren können davon sicher profitieren.
Welche Chancen oder Risiken sieht tecnoswiss bei einer zukünftigen Umsetzung von umati für die Branche?
Ich sehe diese Entwicklung vor allem als Chance für unsere Kunden, den Prozess der Digitalisierung einfacher und standardisiert umzusetzen.
Wie lange kann es Ihrer Meinung nach dauern, bis sich ein Standard, zumindest europaweit, durchgesetzt hat?
Die Definition und Umsetzung des aktuellen Standards mit konkreten Beispielen anlässlich der EMO Hannover war schon recht zügig. Diesen jetzt in den einzelnen Ländern zum Anwendungsstandard umzusetzen, hängt unter anderem auch davon ab, wie schnell sich weitere Partner dem Projekt anschliessen. Es ist wohl von einem mehrjährigen Prozess auszugehen.
Lorenz Zellweger, Geschäftsstellenleiter VPT (Vereinigung für angewandte Produktionstechnik) und ProdNet
Wie relevant ist die Umsetzung von Umati für die Schweizer Werkzeugmaschinenbranche?
Für kleinere Werkzeugmaschinenunternehmen, das schliesst fast alle Schweizer Hersteller ein, sind universelle Standards besonders wichtig. Solange universelle Standards nicht verfügbar sind, wird mit Standards einzelner grosser Anbieter gearbeitet werden müssen. Es ist eine Stärke der Schweizer Werkzeugmaschinenhersteller, sich flink an alle Anforderungen anpassen zu können, aber im Fall der Maschinenanbindung wird das Bereitstellen verschiedener Schnittstellen ausgesprochen aufwändig. Ein universeller Standard wie umati ermöglicht es, auch mit Maschinen der neusten Generation wettbewerbsfähig zu bleiben.
Welche Chancen oder Risiken sehen Sie durch umati für die Branche?
Mit umati schafft die Werkzeugmaschinenbranche etwas, das in anderen Industrien wie Verpackungs- oder Kunststoffspritzgiess-Industrie seit langer Zeit Stand der Technik ist. Die Branche hat die Chance, bei der Gestaltung des neuen Standards die praktischen Erfahrungen aus anderen Anwendungen und die aktuellen technischen Möglichkeiten so zu nutzen, dass dieser Standard über längere Zeit lebensfähig ist und auch die Zusammenarbeit der Werkzeugmaschinen mit den Nachbarsystemen (Automation, andere Prozesse) gewährleistet ist. Andererseits besteht nach dem EMO-Hoch das Risiko der Versuchung, rasch etwas Attraktives herauszugeben und damit die Nachhaltigkeit der Entwicklung von umati aufs Spiel zu setzen.
Wie lange kann es dauern, bis sich ein Standard, zumindest europaweit, durchgesetzt hat?
Umati steht dank des grossen Engagements seiner Promotoren heute in bester Position. Nun ist es wichtig, dass sich umati als der Universalstandard auch in der Praxis etablieren kann. Zunächst wird es noch etwa ein Jahr in Anspruch nehmen, die technisch-formale Prozedur, die OPC UA Companion Specification, zu durchlaufen. Ein weiteres Jahr dürfte es dauern, bis die ersten Produkte in der Praxis zum Einsatz kommen. Wie weit umati herstellerspezifische Standards in den nächsten zehn Jahren verdrängen wird, wird sich zeigen.
Christoph Blättler, Ressortleiter, und Adam Gontarz, Technischer Manager, Fachgruppe «Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik», Swissmem
Wie relevant ist die Umsetzung von umati für die Schweizer Werkzeugmaschinenbranche?
Die Umsetzung ist von höchster Relevanz, wenn es um die Implementierung und den Einsatz von Digitalisierungslösungen geht. Wesentliche Hemmnisse für den breiten Einsatz von Digitalisierungs- , IoT- und/oder Industrie-4.0-Lösungen waren bisher ein fehlender Standard zur Konnektivität und proprietäre Lösungen, auf die sich Maschinennutzer als auch Maschinenhersteller ungern einlassen. Bisherige Ansätze griffen demnach zu wenig. Wir erwarten, dass die stark exportorientierte Schweizerische Werkzeugmaschinenindustrie diesen Standard anbieten muss, um weiterhin auf Kundenseite optimale Lösungen zu bieten.
Welche Chancen oder Risiken erkennen Sie bei einer zukünftigen Umsetzung von umati für die Branche?
Da umati auf dem seit 2006 etablierten und bekannten Kommunikationsstandard OPC UA basiert, diesen aber nun einheitlich interpretiert, sind die Risiken gering und bekannt. Eine Implementierung von umati ist mit geringem Investitionsaufwand verbunden und damit auf vielen aktuellen Systemen direkt umsetzbar. Als Chancen sehen wir, dass entsprechende Applikationen und Digitalisierungslösungen über eine Standardschnittstelle verbunden werden können. Damit werden «Plug-and-Play»-Lösungen möglich.
Wie lange kann es dauern, bis sich ein Standard, zumindest europaweit, durchgesetzt hat?
Als wesentlicher erster Schritt muss bekannt sein, dass umati und die Idee einer einheitlichen Maschinensprache existiert und welche Möglichkeiten sich hierdurch ergeben. Dies konnte sehr gut in grossem Massstab an der EMO Hannover, aber auch bereits schon an der AMB in Stuttgart gezeigt werden. Wir arbeiten aktiv in der Core Working Group –CWG – mit und sind an der Entwicklung dieses Standards direkt beteiligt. Es muss aber auch klar sein, dass die Entwicklung eines Standards und die Konsolidierung unterschiedlicher und stark heterogener Anforderungen der Maschinenbranche nicht unmittelbar Realität werden kann. Wir gehen davon aus, dass eine annähernd allgemeintaugliche Version in etwa 18 Monaten zur Verfügung steht. Es lohnt sich hier von Anfang an in irgendeiner Form mitzuwirken, um immer aus erster Hand informiert zu sein. Die Fachgruppe «Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik» bringt die grundsätzlichen Anliegen der Schweizer Hersteller ein, kann aber nicht die direkte, aktive Beteiligung interessierter Firmen ersetzen. Je mehr Firmen ihre Anliegen und Beiträge zeitnah einbringen, desto schneller wird sich der Standard etablieren und auch durchsetzen.