7. Dez. 2024

Feedbacks durch digitale Systeme: Wie gehen wir damit um?

Allen Ortes schreitet die Digitalisierung auch in administrativen Tätigkeiten der Industrie und Wirtschaft voran. Angelehnt an die Lernende Organisation ist die Verfügbarkeit digitaler Feedbackmöglichkeiten für Kunden eng damit verbunden. Administrativleistungen wollen heute als Dienstleistungen verstanden sein, weshalb nach der Leistungserbringung ein schriftlich-digitales Kundenfeedback zu begehen ist. Damit verbunden eröffnen sich jedoch ethische Fragen: Wann wird digitales Feedback zur Denunziation, wann Whistleblowing zum Verrat? Und was braucht es für einen verantwortungsvollen Umgang? Marcel Weder, Dozent für Wirtschafts­ingenieurwesen an der Fernfachhochschule Schweiz (FFHS), begibt sich auf Spurensuche.

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FFHS
Marcel Weder, Dozent für Wirtschaftsingenieurwesen an der Fernfachhochschule Schweiz (FFHS).

Der Mensch will wissen, dass er es gut macht: Der Mensch ist bis heute bestrebt, seine Sache gut oder zumindest besser zu machen. Dabei will der Mensch von Anderen hören/lesen, wie es um sein Tun steht, um ­daraus Verbesserungswürdiges zu lernen. Um zu lernen, sind Mensch und Organisation auf Rückmeldungen angewiesen, denn es gilt: «no feedback, no learning». Ein summarisches overall feedback am Leistungserbringungsende bewirkt nur unzureichend Lernfortschritte. Endkontroll-Feedbacks ­kämen einem unseligen Verhalten von Eltern gleich, die ­ihrem Kind erst zum 18. Lebensjahr dessen Verfehlungen in Form einer telefonbuchdicken Mängelliste kundtun würden.

Feedbacks gilt es zeitnah einzubringen: Auch in Wirtschaft und ­Industrie sind einmalige Feedbacks am Ende ­allen Tuns lernmethodisch falsch. Damit etwaige Fehlhandlungen ­ursächlichen Fehlerquellen eindeutig zugeordnet werden können, gilt es, Feedbacks zeitverzugslos einzubringen, um daraus wirksame Korrektivmassnahmen abzuleiten und zu implementieren.

Der Umgang mit unliebsamen Wahrheiten

Doch: Kann der Mensch mit Feedback, mit Wahrheit umgehen? Mitunter ist diese Frage mit «Nein» zu beantworten, was in der Natur des Menschen selbst begründet ist. Der heute aufgeklärte Mensch will Wahrheit stets zugesprochen erhalten. Wahrheit jedoch ist oftmals verborgen, verstellt hinter Kulissen, ja Maskeraden, weshalb Menschen hinter die Kulissen des Anderen sehen können möchten.

Es fällt uns Menschen schwer, mit unliebsamen Wahrheiten über uns selbst umzugehen. Fallweise implodieren wir, fallen in uns zusammen oder explodieren, schlagen um uns, anstatt in uns. Die Attribute «wahr» und «schonungslos» kombiniert gereichen zur Unerträglichkeit und lösen im Menschen seelennahe Reflexe aus. Dies erst recht dann, wenn die damit verbundene Kommunikation zur Feedbackvermittlung schlecht konditioniert ist («Wie sag’ ich’s meinem Kinde?»). Jenes geflügelte Mantra «schonungslos» ist im Kern eine erbarmungslose Handhabungsweise, welche der Würde des Mitmenschen keine Rechnung trägt. Seine fatale Wirkung entfaltet Information dann, wenn ­keine Zeit dafür eingeräumt ist, diese zu vermitteln. Das ist dann der Fall, wenn schlechte/kritische Informationen/Nachrichten buchstäblich unvermittelt, zeit(invest)los, ja dolchstossartig über den Menschen hereinbrechen.

Es braucht Zeit, um Informationen und Feedbacks menschenwürdig zu vermitteln: Zeit verschafft Schonung, entfaltet behutsame Wirkung, die der Mensch angesichts seiner Fehlleistungen braucht, um sich seines mitunter unschönen Charakterspiegelbildes anzunehmen. Sich auch für Feedbacks ein Quantum Zeit zu nehmen, geht mit wechselseitiger Wahrung der Menschenwürde einher, was unverzichtbare Voraussetzung für ein auferbauendes, vertrauensvolles Miteinander ist. Das ist ein hoher ­Anspruch: Respekt – ­Würde – Behutsamkeit – Schonung, trotz ­wahrheitsgetreuem Feedback. 

Fingerspitzengefühl im digitalen Systemkosmos

Ist dieser bedeutsame Anspruch der Menschenwürde durch einen digitalen Systemkosmos überhaupt zu leisten? Digital eingebrachte Feedbacks entbehren – da es sich dabei nicht um einen «von-Mensch-zu-Mensch»-Vorgang handelt, sondern um einen «Mensch-Maschine-Mensch»-Vorgang – oftmals des Fingerspitzengefühls. Digitale Plattformen sammeln sternförmig Meinungen über Produkte, Leistungen, Menschen ein, konsolidieren eingesammelte Meinungen durch digitale Algorithmen und stilisieren Informationen zu einer «allgemeingültigen, absoluten Meinung» hoch. Darin ist der Kreativdreischritt (Brainstorming) sichtbar: «sammeln – ordnen – bewerten». Fingerspitzengefühl deshalb, weil Feedbacks nicht an iron bodies (Maschinen), sondern an human bodies (Menschen) adressiert sind. Das geflügelte Wort des Personalmanagements «you call for human ressources – but you get human beings» bringt es auf den Punkt: Jene Adressaten (Menschen) sollen durch ein Feedback (Botschaft) gefördert, zum Lernen motiviert und nicht verletzt werden.

Der Schritt der Bewertung obliegt dem Menschen, bisweilen Obrigkeiten: Obrigkeiten dürfen die wichtige Bewertung von Feedbackinformationen, ja von digital gesammelten, geordneten Big Data nimmer aus den Händen geben. Bewertung und Deutung von Daten müssen stets in Händen von Menschen liegen und dürfen nicht der elektronisch-­automatisierten Apparatur (Digitalmaschine) überlassen werden.

Der Mensch darf sich angesichts der horrenden Möglichkeiten der Digitalisierung und KI keinen Kniefall vor ebenjenen leisten, sonst ist er fortan verkauft. Der Mensch muss sich gewahr sein, dass er Schöpfer ist und Digitalisierung und KI als des Menschen Errungenschaften lediglich Ton in dessen Händen ist. Digitalisierung und KI sind auch nur dem Menschen dienliche Werkzeuge mit bestimmten Merkmalen, Eigenschaften, eigentümlichem Zweck. Mit einem Werkzeug kann nicht alles gemacht werden.

Vielleicht gelangt der Mensch in naher Zukunft zur Einsicht, dass Digitialisierung und KI für die Beurteilung und Feedbackbewertung von Menschen ethisch nichts taugen, weil es eine zweckverfehlte Anwendung der ­Digitalmaschine ist. Schlimmstenfalls ruiniert sich der Mensch gegenseitig mittels einer elektronisch-­automatisierten Maschine in gros­sem Stile und vollbringt durch falschverstandene, fehlinterpretierte Wahrheit ein Werk des Schreckens, welches im Mittelalter vom Schwert ausging. Dies durch ePlattformen, welche ungefilltert ­Alles gefrässig aufnehmen (sammeln) und algorithmisch verwerten (ordnen), was die menschlichen Abgründe in jene hineinkippen. Angesichts von Digitalisierung und KI scheint der Mensch heute dem Credo zu folgen: «sammeln – ordnen – glauben» (wenn schon nicht mehr an Gott-den-Höchsten, dann wenigstens an Daten).  

Es braucht verbindliche Verhaltensregeln im Umgang mit Feedbackinformationen: In causa dessen, muss es künftig verbindliche Verhaltensregeln für die digitale Feedback­eingabe zwingend geben, damit Feedbacks qualifiziert (zivilgesellschaftlichen Normen eines gedeihlichen Miteinanders entsprechend) formuliert sind und um Obrigkeiten Schulung im Umgang mit Interpretation und Bewertung von Informationen zu verleihen.

Mit verbindlichen Regeln sei hierbei nicht Maulkorb oder Zensur gemeint. Verhaltensregeln können bereits damit beginnen, indem ein Feedback nicht auf Anhieb (im Zustand innerlicher Feuersbrünste) in den Datensee entsendet werden kann, sondern dass «eFeedbackportale» beispielsweise mit einem «24h timer» versehen sind, welcher – nachdem eine Feedbackvergebende oder ein Feedbackvergebender zuerst einmal über alles Vorgefallene geschlafen hat – erst dann manuell bewusst ausgelöst werden kann.*

Denunziation und Verrat

Wann wird Feedback zur Denunziation, wann Whistle­blowing zum Verrat? Solches ist dann der Fall, wenn damit das Grundprinzip von Feedback – «Wohlwollen und daraus lernen können» – missachtet wird und wenn Schadensanrichtung, Vorteilnahme oder Vernichtung dem bewerteten Objekt/Subjekt gegenüber das Motiv ist. Das geschieht dann, wenn Feedbackeingebende sich selbst überhöhen, sich in den Richterstuhl erheben und bewerten, anstatt zunächst einfach via Feedback zu informieren. Gesteht eine Unternehmung diese Art Gerichtshoheit ihren Kunden zu, ist jene fortan der Kunden Sklave, erpressbar und ethisch verloren. Die Einhaltung von Grundprinzipien hat mit Verantwortung gegenüber Menschen zu tun. Obrigkeiten sei geboten, digitale Feedbackinformationen mit Augenmass zu interpretieren, mit belastbaren analogen Kenntnissen/ Erfahrungen (Wissensstand) abzugleichen und den Dingen mit Verhältnismässigkeit zu begegnen. Es gelte gegenüber feedbackbeurteilten Menschen de jure nicht nur die Unschuldsvermutung, sondern auch die causa: «Einmal ist Keinmal. Zweimal ist ein Muster».

Meine sehr verehrten Lesenden: Ich wünsche Ihnen, dass Ihre Sache wohl gelingt und falls Ihnen Dinge nicht gelingen, dass Ihnen ein wohlwollend-lehrreiches Feedback durch einen verantwortungsvollen Menschen zur Seite gestellt ist.    

Marcel Weder ist Dozent für Wirtschaftsingenieurwesen an der Fernfachhochschule Schweiz (FFHS)

ffhs.ch

* Diese Massnahme würde dem alten Prinzip des seinerzeitigen Österreichischen Kaisers Franz Josef I. folgen, auf dass sich zwei uneinige Menschen nicht bereits gleichentags mit einer Klage gegeneinander beim Justiz­apparat der Donaumonarchie melden durften, sondern erst um einen Tag danach, damit sich etwaig hitzige Gemüter über Nacht abkühlen konnten, womit eine wirksame Entlastung der K&K Gerichtsadministration vor Klageüberflutung sich einstellte, denn bereits am nächsten Tag sah die Welt für alle Beteiligten zumeist wieder rosiger aus.