10. Mai 2024

Eine Kühlanlage, die Luft mit Luft kühlt

Holger Sedlak, CTO von Justairtech, hat die Lösung, wenn es um Kühl- und Wärmepumpen geht, die einen speziell angepassten Wärmetauscher benötigten: «Unsere Anlage ist um den Faktor 5 effizienter als herkömmliche Anlagen, spart Energie, CO2 und Betriebskosten», stellt er fest. Die Umsetzung war nur durch den Einsatz von Metall-3D-Druck und EOS möglich.

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EOS
Filigrane Strukturen: Die Wandstärke von rund 150 ­Mikrometern für eine sehr grosse Oberfläche mit rund 330 000 Kanälen bei einem Durchmesser von 0,5 Millimetern galt als einer der Knackpunkte für die Umsetzbarkeit des Bauteils.

Wärmepumpen zur Beheizung von Gebäuden sind derzeit ein zentrales Thema. Wärmetauscher, ein wichtiger Bestandteil von Wärmepumpen, sind auch in Kühlanlagen die zentralen Elemente. Ihre Funktionsweise? Sie übertragen Wärmeenergie zwischen zwei Medien – ein recht ineffizienter Vorgang, mit dem Holger Sedlak, CTO bei Justairtech, nicht zufrieden war: «Mich treibt an zu ­sehen, was physikalisch geht und warum etwas bisher nicht geht. Dafür suche ich nach Lösungen. In diesem Fall: Wir arbeiten nur mit Luft.» Dass das doch möglich ist, steht nun fest, nach einer spannenden Reise für EOS und J­ustairtech. Das Ergebnis: ein hocheffizienter Wärmetauscher ­ermöglicht ein Design einer Kühlanlage, die nur ein Fünftel des bisherigen Stromverbrauchs benötigt.

Um einen Raum zu klimatisieren, wird die Luft zur Abkühlung in einen Wärmeübertrager gezogen. Darin gibt es einen Wasserkreislauf und einen Kreislauf mit einem Medium wie FKW. Diese Kreisläufe müssen mit Pumpen angetrieben werden, das System benötigt Ventilatoren und weitere Elemente, die alle Strom verbrauchen. Sedlak beschreibt die Idee, stattdessen Luft direkt mit Luft zu kühlen mit einem plakativen Beispiel: «Wenn man früher von München nach Berlin wollte, musste man an verschiedenen Stationen umsteigen. Das kostete Zeit und Nerven. Vermeidet man die ­Umstiege durch eine Schnellstrecke, dann ist die Reise deutlich schneller und nervensparender erledigt.» Das ist das Grundprinzip seines Produkts: Sedlak eliminiert alle unnötigen Zwischenkomponenten und erhält so einen fraktalen Luft-Luft-Wärmetauscher, der im Vergleich zu gängigen Modellen neue Kühl- und Wärmepumpendesigns ermöglicht, die lediglich ein Fünftel des Stroms brauchen. Doch dass es so eine Lösung noch nicht gibt, liegt unter anderem daran, dass sie bisher als nicht produzierbar galt.

Challenge accepted

Sedlak kam im Mai 2022 auf das Unternehmen EOS zu mit der Idee und der Schlüsselstruktur seines Wärmetauschers. ­Philipp Komurka vom EOS-Team Additive Minds diskutierte darüber mit seinen Kollegen, und eine erfolgreiche Realisierung erschien zunächst sehr unwahrscheinlich. Der Knackpunkt für die Umsetzbarkeit: die extrem ­geringe Wandstärke von rund 150 Mikrometern für eine sehr ­grosse Oberfläche mit insgesamt rund 330 000 Kanälen bei ­einem Durchmesser von nur 0,5 Millimetern. Zwar ist der ­DMLS-3D-Druck von EOS auf sehr filigrane Strukturen ausgelegt, doch ist im Vorgang des Laserns ein Energieübertrag notwendig. Das heisst, das Material muss schmelzen, um eine Schicht zu bilden, darf dabei aber nicht zu hoch aufwachsen, um die extrem engen Designvorgaben des Bauteils einzuhalten beziehungsweise die Kanäle nicht zu verschliessen. 

Zudem war Voraussetzung, dass das Material 316L zum Einsatz kommt, also Edelstahl. Andere Materialien wären einfacher zu verarbeiten, hätten aber eine zu hohe Leitfähigkeit und würden somit die Funktion des Wärmetauschers beeinträchtigen. Sedlak dazu: «Ich habe in meinem Leben viele unmögliche Dinge realisiert und immer mit Partnern gearbeitet. Man braucht systemisches Denken, und man muss miteinander einen Weg gehen, um zu sehen, wo es Anpassungen im Design oder auch in der Produktionstechnik braucht. Mir war klar, dass mein Produkt nur mit Metall-3D-Druck realisierbar ist – EOS hat das Risiko mitgetragen und sich extrem engagiert, um gemeinsam ans Ziel zu gelangen.»

Prozess und Design, Entpulverung und Kaltbau

Zwei Projektmitarbeiter und Komurka machten sich also daran, das Unmögliche zu realisieren. Zunächst wurden Parameter und Prozesse angepasst und ­individuell auf den Justair­tech-Wärmetauscher adaptiert. Das Team hat ­Variablen wie Laserleistung, Geschwindigkeit oder Tempera­turbereiche so gut aufeinander abgestimmt, dass überhaupt eine solche Struktur gebaut werden konnte. Im Sommer 2022 gelang der erste Versuch, allerdings bei einer sehr langen Bauzeit von 110 Stunden. Hochgerechnet auf das komplette Bauteil wären die Stückkosten damit deutlich zu hoch gewesen, um wirtschaftlich zu arbeiten. 

Somit bestand die nächste Aufgabe darin, die Bauzeit auf die ursprünglich von Sedlak anvisierten rund  20 ­Stunden zu bringen. Das heisst, ein Minus von 80 Prozent in ­puncto Bauzeit war zu erreichen. Ein Schritt auf ­diesem Weg war die Reduktion der Konstruktionsdaten, da ursprünglich unzählige Vektoren die Design­datei sehr gross gemacht hatten, was die Weiterverarbeitung zeitaufwendig werden liess. In ­enger Zusammenarbeit zwischen EOS und ­Justairtech konnte das Design optimiert und die Datenmenge deutlich reduziert werden. Ein zweiter Schritt war die Entpulverung, denn beim ersten Bauversuch enthielt die fertige Struktur etwa 30 Kilogramm loses Pulver, das sich in den winzigen Kanälen verfangen hatte. Komurka erzählt: «Zunächst wurden zusätzlich zur Entpulverungsanlage die ­Kanäle manuell mit einem kleinen Hammer frei geklopft, weil wir nicht lange genug gewartet hatten. Am Ende haben wir verstanden, dass wir das Bauteil einfach länger in der Entpulverung lassen müssen.» Nach vielen Optimierungen lag im Herbst 2022 die Bauzeit bei 60 Stunden, also bereits ein Minus von knapp 50 Prozent. Um nochmals schneller zu werden, wurde das Bauteil auf der EOS «M 400-4» kalt gebaut – normalerweise ist der Bauraum beheizt, da sich das Material leichter verarbeiten lässt. Durch den Kaltbau konnte aber am Ende die Zeit für das Abkühlen deutlich reduziert werden.

Mission erfüllt – und weiter? 

«Im Moment stehen wir bei zehn bis zwölf Stunden Bauzeit und setzen etwa vier Stunden für die Entpulverung an – damit landen wir bei ungefähr 16 Stunden Bauzeit bis zur Fertigstellung des zentralen Bauteils für den neuen Wärmetauscher und einem deutlich reduzierten Stückpreis», freut sich ­Komurka. 

Bisher läuft der Bauprozess bei EOS. Die Idee ist aber, dass Justairtech als Thinktank fungiert und künftig keine eigene Fertigung aufbaut, sondern Partner sucht, die das Bauteil in Serie fertigen. Sedlak stellt fest: «Unsere Anlage ist um den Faktor 5 effizienter als herkömmliche Anlagen, spart Energie, CO2 und Betriebskosten und ist dank kompakter Bauweise überall zu installieren. Wir starten mit Industrieanwendungen, werden dann aber auch Richtung Endkunde gehen – denn man kann das Produkt für das Kühlen und Heizen von jedem Gebäude einsetzen», skizziert Sedlak seine Vision. 

eos.info